In die Decke kuscheln und Film ab
Open Air Kino zeigt Fernwehfilme
veröffentlicht in der Schwäbischen Zeitung vom 23.08.2021
Von Donnerstag bis Sonntagabend wandelte sich die Wiese vor dem Erwin Hymer Museum, auf der sich noch vor einer Woche die betagten Wohnanhänger beim Oldtimer Camping breit gemacht hatten, in eine Filmspielarena. In Kooperation mit dem Stadtkino seenema und mit Unterstützung örtlicher Sponsoren war es möglich, für die Liebhaber anspruchsvollen Programmkinos ein viertägiges Open Air Kino anzubieten. Eugen Detzel, Geschäftsführer des genossenschaftlich organisierten Stadtkinos seenema hatte für die Minifilmfestspiele im Freien vier Filme ausgewählt, die allesamt das Zeug dazu hatten, das Fernweh der Zuschauer zu entfachen.
Der großzügige Parkplatz beim Museum begünstigt das Vorhaben Open Air Kino, denn nicht wenige Besucher reisten mit ihren bequemen Gartenstuhlgarnituren an. Doch auch an die radfahrenden Kinofreunde wurde gedacht. Für sie haben die Museumsbediensteten extra 34 bunt gestreifte Liegestühle in Zweiergruppen auf der Wiese aufgestellt. Einem entspannten Dahinlümmeln im bequemen Sitzmöbel stand nichts entgegen, außer vielleicht die Temperaturen, die Mitte August schnell abkühlten, nachdem die Sonne einmal hinter der Kinoleinwand verschwunden war. Die Besucher hatten vorgesorgt. Dicke Jacken, Schlafsäcke und vor allem warme Kuscheldecken wurden auf den Sitzmöbeln ausgebreitet oder zum Zudecken genutzt. Wen es trotzdem fror, der hatte im geöffneten Museumsrestaurant Caravano die Möglichkeit sich mit warmen Getränken und Speisen wieder aufzuwärmen. Ein paar kurze Begrüßungsworte durch Detzel um 20:30 Uhr und dann hieß es Film ab.
Für den Donnerstagabend hatte Detzel das Roadmovie „303“ ausgewählt, in dem die Zuschauer auf eine Reise quer durch Westeuropa mitgenommen werden. In einem betagten Hymerwohnmobil fahren Jan und Jule tagelang durch wunderschöne Landschaften in Deutschland, Belgien Frankreich und Spanien um schließlich das Ziel in Portugal zu erreichen. Doch nicht nur die Reiseimpressionen gefallen, vielmehr sind es die geistreichen Dialoge der beiden Studenten über die Menschheitsgeschichte, Gesellschaftsmodelle und die Theorien der Liebe die wenig Langeweile aufkommen lassen. Fast, denn unter den Zuschauern finden sich auch ein paar Kinder, die sich die Zeit lieber mit Handstand und Radschlagen vertreiben – auch kein Problem, denn es ist genug Platz auf der Wiese. Dass es im Film hingegen nicht nur bei den Theorien rund um die Liebe bleibt, liegt schon fast auf der Hand. In eine ganz andere Richtung ging der Film am Freitagabend. Weite einsame Landschaftsaufnahmen aus der mongolischen Steppe bilden den Rahmen, für einen dokumentarisch anmutenden Einblick in das Leben einer Nomadenfamilie im 21. Jahrhundert. Die scheinbar familiäre Idylle mit Jurte und Ziegenherde steht im aussichtslosen Duell mit landhungrigen Bergbauunternehmen, für die das Nomadenleben und die Natur keine Werte darstellen. Am Samstagabend schickte Detzel in dem Film „Verplant“ zwei Typen mit dem Rad auf den Weg nach Vietnam und am Sonntag konnten die Zuschauer Zeuge sein, wie im Film „Dream Horse“ die Bewohner eines walisischen Dorfes gemeinsam ein Rennpferd großziehen und ins Rennen schicken.
Regina Bruder und Ulf Heyden aus Kehl, derzeit auf Urlaub in Bad Waldsee, waren von der Vorführung am Donnerstagabend begeistert, zumal die Reiseroute des Films viele Erinnerungen an persönliche Reisen hervorrief. Die Gastronomie direkt im Kino war eine schöne Ergänzung und die weit auseinanderstehenden Liegestühle passten ideal zu den Coronaansprüchen auf Kontaktreduzierung, erklären die beiden nach der Vorstellung. Insgesamt ließen die Besucherzahlen an den ersten zwei Abenden mit 70 bzw. 50 Filmfreunden noch Luft nach oben. Im Angesicht des technischen Aufwands der für die Durchführung des Open Air Kinos erforderlich ist, könnte man überlegen, ob die Kriterien eines Programmkinos für die Filmauswahl das geeignete Maß ist, oder ob Bekanntheitsgrad und Publikumspopularität ein stärkeres Gewicht erhalten sollten.
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