Gedankliches Rollenspiel zeigt die Bedeutung des Volkstrauertags im aktuellen Licht
Der Volkstrauertag ist nicht out, wenn man eine persönliche Betroffenheit zulässt
veröffentlicht in der Schwäbischen Zeitung vom 19.11.2018
Jahr für Jahr treffen sich am vorletzten Novembersonntag der Bürgermeister samt Stadtrat, Vereinsabordnungen, die Reservistenkameradschaft und Waldseer Bürger am Ehrenmal auf dem alten Friedhof. Doch mit althergebrachten Traditionen hat das nur bedingt zu tun, denn die Botschaft die an diesem Sonntagmorgen im November ins Bewusstsein gerufen wird, gewinnt Jahr für Jahr an zunehmender Bedeutung und die empathische Betroffenheit wird Pflicht für eine Gesellschaft, die heuer dem Ende des ersten Weltkriegs vor 100 Jahren gedenkt.
Robert Häusle, Rektor am Gymnasium Bad Waldsee, hat genau diese persönliche Betroffenheit in den Fokus seiner Ansprache vor den etwas mehr als 100 Teilnehmern gestellt. Er setzte damit nahtlos an den Gedanken von Bürgermeister Roland Weinschenk an, der in seinem Grußwort betonte, wie wichtig es ist, darauf hinzuweisen, was passiert, wenn kein Frieden ist und welches Leid aus Konflikten entstehen kann. „Der Gedenktag wird zum Friedenstag“ so Weinschenk. Häusle war bewusst, das zum Gedenken die Ruhe und das Innehalten nötig, zum Trauern hingegen eine persönliche Betroffenheit Voraussetzung ist. Die Schicksalsschläge der beiden Weltkriege mögen inzwischen für die meisten in eine zeitliche Distanz gerückt sein. Doch mit einem einfacher Perspektivwechsel führt Häusle die Gefallenen, Flüchtlinge und Verfolgten aus der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts wieder in eine beunruhigende Nähe.
Zunächst einmal führte Häusle die Situation der Soldaten aus den beiden Weltkriegen vor Augen, die teilweise aus Begeisterung, Überheblichkeit, aber auch aus Pflichtbewusstsein oder unter dem Druck des Systems in den Krieg gezogen waren. Würden sie heute das Europa erleben, in dem seit über 70 Jahren Frieden herrscht und ein Deutschland das nicht einmal mehr die Wehrpflicht kennt, sie wären wohl begeistert. Doch Motive wie Macht, Ehrgeiz und Überheblichkeit haben auch heute ihren Raum. Egal ob es das persönliche Streben im Berufsalltag ist, das oft direkt in den Burnout führt, oder das Nationaldenken in vielen EU-Ländern, das nun ein Auseinanderbersten dieser Gemeinschaft in Kauf nimmt, obwohl gerade sie erst den langen Frieden in Europa ermöglichte. Ein Frieden übrigens, der auch den wirtschaftlichen Aufstieg ermöglichte.
Nicht viel anders auch die Blickweise der Verfolgten die wegen ihrer Rasse, ihres Glaubens oder ihrer Überzeugung in arge Bedrängnis gerieten oder gar mit dem Tod für ihr Anderssein bezahlten. Sie würden heute sicher in Jubel ausbrechen angesichts unserer liberalen Gesellschaft in der Persönlichkeitsentfaltung und Glaubensfreiheit durch das Grundgesetz gewährt werden. Doch aufmerksame Geister müssten feststellen, dass inzwischen unbequeme Wahrheiten als „fakenews“ geleugnet werden und Verfolgungs- und Hetzjagden nicht nur in den sozialen Medien gang und gäbe sind, sondern auch in Deutschlands Straßen stattfinden können.
Das Gedenken am Volkstrauertag gilt auch den Flüchtlingen und den Verfolgten die Widerstand gegen ein totalitäres Unrechtsystem geleistet hatten. Für sie alle wurden Kränze niedergelegt. Es waren konkret Bürgermeister Roland Weinschenk mit Unterstützung des Deutschen Roten Kreuzes, sowie die Reservistenkameradschaft Bad Waldsee mit Patrick Schunk, Torsten Moch und Carl Friedrich von Wuthenau die an das Mahnmal traten und der Toten in Stille gedachten. Die Stadtkapelle Bad Waldsee spielte dazu das Lied vom „Guten Kameraden“ und die Fahnenabordnungen der Stadtkapelle, des Liederkranzes, des Deutschen Roten Kreuzes, der Kolpingfamilie, der Blutreitergruppe Bad Waldsee, des Heimat- und Trachtenvereins d´Schloßseer, der Turngemeinde und des Schützenvereins KK Steinach senkten die Fahnen in Ehrfurcht.
Häusle appellierte am Ende seiner Rede mit einem Zitat des russischen Schriftstellers Anton Tschechow „Das Leben wiederholt sich nicht, man muss sorgsam damit umgehen“. Der Volkstrauertag diene nicht nur dazu inne zu halten und zu trauern, sondern er ist ein Auftrag Selbstverantwortung für sich und die Gesellschaft zu übernehmen, so Häusle.
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