Die Kernfrage lautet: Streiten oder Konflikt beilegen?
Corona als Brennglas für Probleme, die schon lange da sind
veröffentlicht in der Schwäbischen Zeitung vom 06.08.2020
An diesem Wochenende war Halbzeit bei der Ausbildung zum zertifizierten Mediator. Die beiden Waldseer Karin Knoll und Dirk Haselbacher, sowie die Ravensburgerin Claudia Guter und der aus Neu-Ulm stammende Michael Kohnle werden seit einigen Wochen von Dr. Thomas Spörer mit den Techniken der Mediation vertraut gemacht. Spörer, von Haus aus Diplompsychologe, leitet in Stuttgart das Institut für kooperative Lösungsstrategien und arbeitet als Mediator in einer Rechtsanwaltskanzlei. Unser Mitarbeiter traf die hochmotivierte Gruppe am Samstagmorgen bei der Simulation einer sogenannten Orientierungssitzung im Haus am Stadtsee.
Wie bei so vielen Dingen im Jahr 2020 hat die Corona Pandemie auch den zwischenmenschlichen Bereich massiv beeinträchtigt. Aus Ordnung wurde Unordnung und schlummernde Konfliktpotenziale in Wirtschaft, Arbeit und Familie traten an die Oberfläche. Streit und Händel schaffen sich Raum ohne dass es dafür einen Schuldigen gibt. Ein Szenario, das Haselbacher motivierte die Mediatorenausbildung in Angriff zu nehmen: „Ich will die Leute schützen, vor dem was das zu Tage tretende Konfliktpotential noch bringen kann“, erklärt er.
Kursleiter Dr. Thomas Spörer stellt die Kernfrage „Wie kriegen wir die Händel wieder vom Tisch? Streiten oder Konflikt beilegen?“. Für die zweite Option, die Beilegung des Konfliktes, steht die Mediation. Deren Möglichkeiten zur Konfliktlösung wollen die Kursteilnehmer in schwierigen Zeiten verstärkt zum Einsatz zu bringen. Dermaßen hoch motiviert entschieden sie sich zur Ausbildung bei Spörer, der in den 80-er Jahren einer der Ersten war, der in Deutschland die Mediation publik machte. Als „Kooperative Konfliktlösung Bad Waldsee“ wollen Knoll, Guter, Kohnle und Haselbacher ab Herbst dann ihre Dienste zur Verfügung stellen. Mit unterschiedlichem beruflichem Erfahrungsschatz und einheitlichem Ausbildungsniveau sehen sie sich gerüstet als zukünftiger Ansprechpunkt für Menschen, denen etwas zum Problem geworden ist und die anstelle einer langen juristischen Auseinandersetzung an einer schnellen Konfliktlösung interessiert sind.
Bevor es im Kurs an die Simulation eines Konfliktes geht, erklärt Spörer die drei grundsätzlichen Aspekte eines Konfliktes. Der Inhalt – also worum geht es. Das Verfahren – also wie kriegen wir die Kuh vom Eis. Das Befinden – also wie geht es dem Einzelnen während und nach dem Verfahren. Gerade der dritte Punkt zeigt, dass die Berücksichtigung der Emotionalität eine Besonderheit in der Mediation darstellt. Bei der Juristerei vertritt der Anwalt eine bestimmte Position. Der Mediator hingegen kümmert sich um Interessensausgleich und Interessenswahrung der Beteiligten. Das dafür eine fundierte Professionalität erforderlich ist, liegt auf der Hand. Eine Mediation gibt es auch nicht für lau, sondern es entstehen ähnliche Kosten, wie bei einer anwaltlichen Auseinandersetzung, aber es ist eine Alternative für eine schnelle Konfliktbewältigung.
Im Rollenspiel zur Orientierungssitzung zeigt sich dann, dass in der Regel alle am Konflikt Beteiligten auch Betroffene sind. Dennoch, oder besser gesagt, genau deswegen eint sie das gemeinsame Interesse an einer schnellen Lösung. Diese so zu gestalten, dass alle Beteiligten mit der Lösung leben können, wird die weitere Aufgabe im Mediationsprozess sein.
Es war ein spannender Einblick am Halbzeitpunkt der Mediatorenausbildung in Bad Waldsee. Die Kursteilnehmer berichten, dass sie durch den bisherigen Kurs bereits neutraler geworden sind und die Bereitschaft steigt, andere Positionen einzunehmen. „Es geht darum, über das hier und jetzt hinaus zu denken“, erklärt Spörer, „denn auch ein Mensch der keine Zukunft sieht, hat eine“.
Info:
Mediation (Definition auf der Homepage der Rechtsanwaltskanzlei rvr in Stuttgart, für die Spörer tätig ist): Mediation setzt auf Verhandlung und Konsenzerzielung, ihr Ziel ist die Lösung des Konflikts im Sinne einer Beseitigung der Ursachen, die zum Konflikt geführt haben. Kein fauler Kompromiss und auch kein Diktat eines Dritten. Mediation baut auf den übergeordneten Interessen der Konfliktbeteiligten auf, sie schlägt Brücken über vordergründig vorgebrachte Interessen. Der Mediator entscheidet nicht, er bietet Hilfe zur Selbsthilfe, es sind die Beteiligten selbst, die die Lösung finden.
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